Mittwoch, 4. November 2015

LG Erfurt: Auskunftspflicht der nichtehelichen Lebensgefährtin

Nach § 2027 Absatz 2 BGB muss derjenige Auskunft über den Bestand des Nachlasses erteilen, der einen Nachlassgegenstand in Besitz nimmt. Diese Vorschrift greift nach der nachfolgend dargestellten Entscheidung des Landgerichts Erfurt auch ein, wenn die nichteheliche Lebensgefährtin der Tochter und Alleinerbin des Erblassers nach dem Erbfall den Zutritt zur Wohnung verweigert. Hier ist das Urteil:


Landgericht Erfurt
3 O 717/13 Verkündet am: 05.09.2013


IM NAMEN DES VOLKES
TEILURTEIL
In dem Rechtsstreit
...
- Klägerin-
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Thomas Papenmeier, Altchemnitzer Straße 16, 09120 Chemnitz

gegen
...
- Beklagte -

Prozessbevollmächtigter: ...

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt durch Vorsitzenden Richter am Landgericht Scherf als Einzelrichterauf Grund der mündlichen Verhandlung vom
01.08.2013

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) der Klägerin in der Form eines geordneten Bestandsverzeichnisses Auskunft über den
Bestand der Erbschaft des am ... geborenen und am ... verstorbenen Erblassers Dr. ... zu erteilen;

b) der Klägerin Auskunft über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände des unter 1. a) genannten Erblassers zu erteilen;

c) der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, welche erbschaftlichen Geschäfte sie geführt hat.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 2000 EUR vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Auskunft über den Bestand des Nachlasses ihres verstorbenen Vaters.

Die Klägerin ist die Tochter und Alleinerbin des am ... verstorbenen Erblassers Dr. ... (Erbschein des Amtsgerichts Weimar vom 05.10.2012, Anlage K1).

Die Beklagte war die Lebensgefährtin des Erblassers und lebte mit ihm in einer Wohnung.

Die Klägerin war nach dem Tod ihres Vaters in der Wohnung. Sie nahm Gegenstände des
Erblassers in Besitz, weitere Gegenstände übergab die Beklagte der Klägerin. In der Folgezeit brachte die Beklagte noch weitere Gegenstände des Erblassers zur Klägerin nach Berlin. Mit Schreiben vom 15.03.2013 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ein Verzeichnis über den Nachlass zu erstellen. lm Zuge der Klärung des Nachlassbestandes verweigerte die Beklagte der Klägerin den weiteren Zutritt zu ihrer und der Wohnung des Erblassers.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stünden nach wie vor die Ansprüche auf Auskunft gemäß §§ 2027 Abs. 2, 260 Abs. 1, 2028 Abs. 1 BGB zu.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Antrag unter 1a) der Klage sei zu weit gefasst. Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten könne die Klägerin allenfalls noch Ergänzungen der Auskunft verlangen, nachdem sie Teile des Nachlasses schon in Besitz genommen habe. Die Beklagte sei nicht zur weiteren Auskunft verpflichtet, soweit diese Auskünfte der Klägerin bekannt seien.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in der Auskunftsstufe auch begründet.


Der Klägerin steht gegen die Beklagte der geltend gemachten Anspruch auf Auskunft zu, §§ 2027 Abs. 2, 260 Abs. 1, 2028 Abs. 1 BGB.
Gemäß § 2027 Abs. 2 BGB ist auskunftspflichtig der Besitzer, der Sachen aus dem Nachlass ohne Erbrechtsanmaßung in Besitz genommen hat, bevor der Erbe den unmittelbaren Besitz oder dem mittelbaren Besitz tatsächlich ergriffen hat. Nicht auskunftspflichtig ist dagegen, wer den Besitz schon vor dem Tod des Erblassers erlangt hat. Denn in diesen Fällen wird die Sache nicht aus dem Nachlass entfernt.
Grundsätzlich ist daher die Beklagte, die als Lebensgefährtin des Erblassers in der Regel
schon vor dem Erbfall Besitz an den Nachlassgegenständen erlangt hat, nicht nach § 2027 Abs. 2 BGB dem Erbschaftsbesitzer (§ 2027 Abs. 1 BGB) gleichgestellt. Da die Beklagte jedoch dadurch, dass sie der Klägerin den weiteren Zutritt zur Wohnung verweigert hat, für sich Alleinbesitz geltend macht, ist sie in diesem Fall wieder Besitzer im Sinne des Abs. 2 der Vorschrift und insoweit zur Auskunft gemäß § 2027 Abs. 2, Abs. 1 BGB verpflichtet.

Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf den Bestand des Nachlasses, hierüber ist gemäß
§ 260 Abs. 1 BGB ein Bestandsverzeichnis vorzulegen. Das Verzeichnis muss eine übersichtliche Gesamtdarstellung enthalten. Es muss den gegenwärtigen Aktivbestand des Nachlasses wiedergeben. Angaben über den Wert der Nachlassgegenstände oder über etwaige Nachlassverbindlichkeiten sind dagegen nicht erforderlich. Die Beklagte als sonstiger Besitzer im Sinne des § 2027 Abs. 2 BGB muss weiterhin Auskunft über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände erteilen, die nicht mehr vorhanden oder unauffindbar sind. Auch insoweit ist eine schriftliche Aufstellung gemäß § 260 Abs. 1 BGB erforderlich. Sie hat Angaben über die Veräußerung, den Untergang und die Verschlechterung von Erbschaftsgegenständen und ihren Surrogaten zu machen. Die Auskunftspflicht des sonstigen Besitzers und damit der Beklagten kann damit im Ergebnis zu einer Rechenschaftslegung über die Verwaltung der Erbschaft führen (Münchener Kommentar BGB/Helms § 2027 Rand 6 - 8 mit weiteren Nachweisen).

Gemäß § 2028 Abs. 1 BGB trifft die Beklagte als Lebensgefährtin des Klägers ebenfalls die Auskunftspflicht darüber, welche erbschaftlichen Geschäfte sie geführt hat und was ihr über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände bekannt ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht der geltend gemachte Auskunftsanspruch uneingeschränkt. Unstreitig hat die Beklagte die Auskunft noch nicht vollständig erteilt hat. Eine Auskunft kann aber dann nicht als formell erschöpfend angesehen werden, solange der Auskunftspflichtige bei mehreren Teilauskünften nicht ausdrücklich oder konkludent erklärt, welche konkrete Äußerung die geschuldete Auskunft enthält und dass er mit dieser Äußerung sein Wissen zu den offenzulegenden Umständen so vollständig preisgegeben hat, wie er dazu im Stande ist. Fehlt es daher in diesem Sinne an einem Nachlassverzeichnis, besteht der Auskunftsanspruch uneingeschränkt. Ein Anspruch auf Ergänzung besteht nur dann, wenn Nachlassgegenstände nicht in das Verzeichnis aufgenommen wurden, das Verzeichnis unvollständig oder aufgrund zum Beispiel gefälschter Unterlagen erstellt wurde. Da
die Beklagte bislang ein Verzeichnis in oben genanntem Sinne nicht erstellt hat, besteht der Auskunftsanspruch nach wie vor in geltend gemachtem Umfang.

Der Klage war daher in der Auskunftsstufe stattzugeben.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


gez. Scherf

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