Am 30.05.2018 wurde die Kammerversammlung der Rechtsanwaltskammer Sachsen fortgesetzt, die am 23.03.2018 unterbrochen worden war. Die Kammerversammlung sprach dem bei der BRAK für die Einführung des beA zuständigen
Vizepräsidenten der BRAK, Herrn Kollegen Dr. Martin Abend, ihr Mistrauen aus.
Die Kammerversammlung fand dieses Mal im Gewandhaus in Leipzig statt. Der Präsident der RAK Sachsen, Dr. Haselbach, teilte mit, dass er den Saal bis 0:00 Uhr gebucht habe. Auch bei der Versammlung am 23.03.2018 im Bundesverwaltungsgericht habe die Vereinbarung zur Saalmiete keinen Endzeitpunkt enthalten. 18:00 Uhr wurde dann mitgeteilt, dass das Sicherheitspersonal nicht mehr verfügbar sei und deshalb das Gebäude verlassen werden musste. Dem Verhandlungsleiter sei nichts anderes übrig geblieben, als dieser Aufforderung zu folgen.
Es sei am 23.03.2018 kein vorheriger Abbruch erfolgt, damit keine unliebsamen Anträge gestellt werden.
Dr. Haselbach berichtete, was seit der Kammerversammlung am 23.03.2018 geschehen ist. Ich möchte hier nicht wiederholen, was bereits öffentlich bekannt ist. Neu war für mich, dass bei der Firma secunet 150 Leute mit dem Sicherheitsgutachten beschäftigt sein sollen. Später führte Dr. Haselbach aus, dass die Firma secunet nach Mannstunden vergütet werde. Nach Dr. Abend sei mit einem sechsstelligen Betrag zu rechnen. Erst einmal zahle diese Kosten die BRAK. Dr. Abend rechne damit dass die Kosten für secunet „mit Sicherheit zu einem ganz großen Teil“ als Schadensersatz gegenüber Atos geltend gemacht werden. Der Rest seien Routinearbeiten, die secunet erledigt habe.
Der Kollege Dr. Braun, der am 23.03.2018 den vergaberechtlichen Antrag gestellt hatte, meldete sich zu Wort. Er habe dazu 6 Dokumente erhalten, von denen 4 nicht unterschrieben seien. Die Dokumente haben zudem verschiedene Schriftarten.
An andere Stelle führte der Kollege Dr. Abend aus, die Post würde die Briefumschläge einscannen. Die Anwalt - Mandant - Kommunikation würde hierdurch eine digitale Spur hinterlassen. Das beA sei zudem sicherer als die Server in den meisten Rechtsanwaltskanzleien.
Als Tagesordnungspunkt 5 wurde der Antrag des Kollegen Posner aufgerufen:
1. Die Kammerversammlung spricht dem bei der BRAK für die Einführung des beA zuständigen Vizepräsidenten der BRAK, Herrn Kollegen Dr. Martin Abend, ihr Mistrauen aus. (angenommen)
2. Die Kammerversammlung fordert den Vorstand der Rechtsanwaltskammer Sachsen auf, auf den Rücktritt des Kollegen Dr. Abend hinzuwirken. (abgelehnt)
Der Kollege Posner begründete seinen Antrag wie folgt. Zunächst griff er einen Kommentar von Dr. Haselbach auf. Dieser hatte sich dagegen verwehrt, das beA als Desaster zu bezeichnen. Die Gesundheitskarte sei ein Beispiel für ein Desaster. Der Kollege Posner wies darauf hin, dass für die Gesundheitskarte ebenfalls Atos verantwortlich sei.
Der Kollege Posner führte aus, dass wir mit der Aufarbeitung des Problemkreises beA nicht warten können, da die Frage der Verjährung im Raum stehe. Wenn wir abwarten sollen, dann sollten diejenigen, die in der Verantwortung stehen könnten, auf die Einrede der Verjährung verzichten.
Die Anwaltschaft sei nicht verärgert, weil beA nicht starte. Sie sei vielmehr verärgert, dass mit dem beA massive Sicherheitsmängel zu Tage traten und wie die BRAK damit umging. Unter anderem wurden an Kammerpräsidenten Schreiben der BRAK versandt, die bitte nicht veröffentlicht werden sollten. Der Kollege Posner kritisierte auch die Informationspolitik der RAK Sachsen. Er erwarte von Dr. Haselbach Bereichte zu eigenen Eindrücken von den BRAK-Versammlungen.
Es sei nun eine kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen Abläufen erforderlich. Die Aufarbeitung der Fehler sei bei vollständiger Personenidentität der in der BRAK verantwortlichen Personen nicht möglich. Das zeige sich darin, dass die BRAK eine Kommunikationsagentur beauftragt habe. Die Kommunikation sei eine typische Anwaltsaufgabe. Die BRAK habe die regionalen Kammern unzureichend informiert.
Das HSM solle trotz der Sicherheitsbedenken weiterhin zentraler Bestandteil des beA bleiben. Die BRAK hatte das beA mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung beworben, was sich als unzutreffend herausgestellt habe. Dr. Abend habe daraufhin die Aussagen zur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung Stück für Stück sprachlich umformuliert. Erst jetzt benutze er den Begriff Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht mehr. Der Kollege Posner fragte danach, was denn nun im Vertrag mit Atos stehe. Kann das Aufweichen und Verwässern die Ansprüche gegen Atos gefährden?
Zur Wartung des HSM hatte die BRAK ausgeführt, dass die neuen Geräte vor Ort gebracht und dann die alten Geräte an Atos zurückgegeben werden. Wer so etwas für sicher halte, habe keine Erfahrungen im Strafrecht. Die Verantwortlichen der BRAK verschließen ihre Augen vor menschlichem Fehlverhalten und geheimdienstlichen Aktivitäten. Das Abgreifen von Daten sei vorstellbar. Der Kollege Posner betonte, dass er Dr. Abend als Person durchaus schätze. Er halte ihn aber in der Art und Weise, wie mit uns umgegangen wurde und wie wenig Fremdsachverstand eingeholt wurde, für untauglich, das beA weiter zu betreuen. Wer den Bock geschossen habe, müsse auch dafür gerade stehen. Verantwortung müsse auch dann übernommen werden, wenn etwas richtig schief gehe.
Danach bat Dr. Haselbach um Wortmeldungen. Zuerst meldete sich der ehemalige Präsident der RAK Sachsen Dr. Kröber. Er sei persönlich kein Freund der Digitalisierung. Die BRAK habe einen Auftrag erteilt an eine Spezialfirma, die dafür geeignet sei. Es sei die Aufgabe der BRAK, dafür Sorge zu tragen, dass nicht ein mangelhaftes Produkt in die Anwaltschaft hineingetragen werde. Die Folge seien nun Verzögerungen und die Haftung des Auftragnehmers, aber nicht des Auftraggebers. Der Antrag sei im Interesse der deutschen Anwaltschaft abzulehnen. Dort, wo in der Politik Sicherheitslücken aufgetreten seien, habe es auch keine persönlichen Konsequenzen gegeben.
Der Kollege Cramer aus dem Vorstand der RAK Sachsen führte aus, er könne den Unmut und die Kommunikationsprobleme verstehen, die Herr Posner aufgeworfen habe. Es gelte jedoch die Unschuldsvermutung. Herr Remmers von der BRAK sei für die Kommunikation zuständig, nicht Dr. Abend. Herr Cramer sieht keine Verjährung. Die Aufarbeitung benötige Zeit.
Der Kollege Schillo aus dem Vorstand der RAK Sachsen behauptete ebenfalls, die Kommunikation sei nicht Aufgabe von Dr. Abend. (Anmerkung des Autors: Allerdings gibt es im BRAK-Magazin 1/2018 ein Interview mit Dr. Abend zum Thema "Wie steht es um das beA?"). Die Firma Atos sei BSI-zertfiziert und werde nach wie vor empfohlen. Die RAK Sachsen solle nicht aufgeben, dass sie den Vizepräsidenten in der BRAK stelle.
Daraufhin äußerte sich der Kollege Dr. Abend: Die Enttäuschung, der Ärger und die Wut in der Kollegenschaft, dass das beA nicht zur Verfügung stehe, sei verständlich. Das beA sei „schon sein Baby“. Er wolle es unbedingt zum Erfolg bringen. Er sei im Präsidum der BRAK für das beA verantwortlich, also für alles, was „wir tun oder nicht tun“. Er und seine Mitstreiter hätten immer gesagt, das eine absolute Sicherheit mit dem beA nie gegeben sein werde. Im Frühjahr 2013 sei von BRAK die adesso AG mit der Erarbeitung eines Anforderungskonzepts beauftragt worden. Mit Unterstützung der adesso AG seien ab Mai 2013 die Anforderungen an das beA-System entwickelt worden. Dazu habe es Workshops mit Kanzleien und Richtern gegeben. Von Oktober 2013 bis Januar 2014 habe es Online-Umfragen der BRAK zur Anzahl der übermittelten Schriftstücke und zur Ausstattung der Kanzleien gegeben...
An diesem Punkt unterbrach ihn der Kollege Merbeck aus dem Vorstand der RAK Sachsen: Es könne nicht sein, dass er die ganze Historie noch einmal bringe. Der Präsident Dr. Haselbach sagte dazu, Herr Dr. Abend habe das Wort. Daraufhin meldete sich der Kollege Munz und beantragte den Schluss der Rednerliste. Der Kollege Posner warft ein, dass doch die Redezeit des Herrn Dr. Abend begrenzt werden solle. Es kam zur Abstimmung über zwei Geschäftsordnungsanträge. Der Antrag, die Rednerliste zu schließen, wurde abgelehnt. Dafür wurde beschlossen, die Redezeit auf 3 Minuten zu begrenzen.
Dr. Abend
durfte fortfahren. Er führte aus, dass er und die BRAK das beA als als Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bezeichnet haben. Dass in der IT-Welt darunter etwas anderes verstanden werde, sei richtig. Die Rede des Kollegen Dr. Abend musste wegen Zeitüberschreitung abgebrochen werden.
Nach Ansicht des Kollegen Hengst sei es eine Stärke, wenn wir als Anwaltschaft im Gegensatz zur Politik jemanden zur Verantwortung ziehen. Punkt sei, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sei etwas anderes als das, was das beA jetzt mit dem HSM sei. Wenn diese Grundaussage von einer Person wie Dr. Abend nicht erkannt werde, dann fehle dieser das erforderliche technische Grundlagenverständnis.
Die Kollegin Modschiedler vertrat die Auffassung, der Antrag zu 2. sei „nicht vollstreckbar“. Ihr würden 15 Möglichkeiten einfallen, wie man auf den Rücktritt hinwirken könne. Es sei unzulässig, den Vorstand zu verpflichten, gegen sein Gewissen zu handeln.
Der Kollege Merbecks hielt das Hinwirken auf den Rücktritt auch für problematisch wegen der Mehrheitsverhältnisse bei der BRAK. Er wolle keine „Scheingefechte“ und „Geiselnahmen“.
Dr. Braun stellte vier Fragen an Dr. Abend, die vom Präsidenten Dr. Haselbach jedoch nur als Wortmeldung gewertet wurden: Kennen Sie die Dokumente, die mir die BRAK geschickt hat? Warum sind 4 davon nicht unterschrieben und warum sind adesso und Ihr Name nicht darin enthalten? Können Sie den schriftlichen Vortrag bitte übersenden, den sie ausgearbeitet haben (und nicht halten konnten, weil sie abgebrochen wurden)? Dr. Braun sagte, mit adesso sei jetzt wieder ein neuer Player aufgetaucht.
Der Kollege Opel sagte, es gehe nicht um eine Verurteilung des Kollegen Dr. Abend. Dieser solle persönliche Verantwortung übernehmen für ein Amt, das er bekleidet. Dr. Abend habe sich nicht einmal selbstkritisch geäußert.
Daraufhin durfte Dr. Abend noch einmal reden. Adesso sei von der BRAK beauftragt worden, lange bevor das Vergabeverfahren lief. Dann gab es eine Firma Capgemini.
Die Kollegin Biebrach führte aus, sie sei für den Antrag des Kollegen Posner. Dr. Abend verstehte nicht, was wir wollen. Er ersticke die Diskussion, übe keine Selbstkritik.
Abschließend durfte sich der Kollege Posner erneut äußern. Er erwarte kaufmännisches Denken von Dr. Abend. Wenn er 165.000 Anwälte verpflichte, Geräte und Chipkarten, etc. anzuschaffen, dann muss daraus auch ein Vorteil für die Rechtsanwälte entstehen. Die Geräte sind jedoch bei anderen Anbietern viel billiger als direkt bei der Bundesnotarkammer. Die beiden Anträge wurden zur getrennten Abstimmung gestellt.
Antrag zu 1.: 73 ja, 40 nein, 11 Enthaltungen, also angenommen
Antrag 2: 33 ja, 58 nein, 32 Enthaltungen, also abgelehnt
Was die Kollegen bewogen hat, den zweiten Antrag abzulehnen, lässt sich nicht sagen. Geäußert wurden lediglich die Bedenken an der Zulässigkeit des zweiten Antrags.
Danach musste ich nach 18:00 Uhr leider die Kammerversammlung aus persönlichen Gründen verlassen. Viele andere Kollegen waren bereits gegangen. Die Kammerpolitik ist schwierig für jüngere Kollegen mit Kindern, wenn die Sitzungen erst 15:00 Uhr beginnen und dann zu Zeiten weitergeführt werden, zu denen man nur ohne Bindungen oder unter großen Opfern anwesend sein kann, zumal vielen Kollegen noch eine Heimreise bevorstand.
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