Freitag, 25. Juli 2025

Darf der Pflichtteilsberechtigte die Belege des Erblasser sichten? Ja laut OLG Karlsruhe

Ich habe dieses Thema geprüft und für mich mit ja beantwortet. Im Jahr 2020 habe ich dazu auch einen Aufsatz geschrieben (ErbR 2020, 783). Zugleich war das Thema Gegenstand vieler meiner Zivilprozesse. Danach folgte der Frust. Viele Gerichte suchten Ausflüchte, um das Thema nicht prüfen zu müssen. In einem Verfahren war der Pflichtteilsberechtigte nicht beim (600 km entfernten) Notar, weil dieser bereits angekündigt hatte, dass es keine Einsicht in die Belege gibt. Das zuständige Oberlandesgericht untstellte ihm deshalb, er habe auf sein Zuziehungsrecht verzichtet. In einem anderen Verfahren entschied ein anderes Oberlandesgericht, die Frage sei im Auskunftstitel nicht enthalten und müsse per Klageerweiterung wieder in der ersten Instanz anhängig gemacht werden.

Einen Tiefschlag setzte der Beschluss des OLG München vom 03.12.2024. (Ich weiß nicht, wer an diesem Verfahren beteiligt war.) In diesem Beschluss hat das OLG München den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Belegeinsicht verneint und das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten vollständig entwertet. Es hat dafür in der Literatur Kritik erhalten, wurde aber zum Beispiel auch bei einem Editorial gelobt, bei dem zugleich verkündet wurde, dass der vorsitzende Richter in den Beirat einer Fachzeitschrift aufgenommen wurde.

Kurzer Zwischengedanke: Wem nützt es eigentlich, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Kontoauszüge und Belege nicht sehen darf? Aufrichtigte Erben legen alles offen und fügen die Belege von sich aus bei. Gute Notare prüfen alles intensiv und vollständig und geben mindestens die Inhalte vollständig und zutreffend wieder. Der Nutzen liegt bei Erben, die durch eine unzureichende Auskunft den Pflichtteilsanspruch reduzieren wollen. Das ist zwar ein versuchter Betrug, wird aber nach meinen Erfahrungen faktisch nicht verfolgt. Weiterhin können sich Richter und Notare über mehr Freizeit freuen, wenn die Belege und Kontoauszüge nicht so genau angeschaut werden und die wirklich schwiergen Fragen gar nicht erst aufkommen.

Nun gibt es einen Lichtblick. Es wurde ein Beschluss des OLG Karlsruhe vom 30.03.2023 - 14 W 27/23 ( ErbR 2025, 584) veröffentlicht. Das OLG Karlsruhe entschied, dass der Pflichtteilsberechtigte beim Notartermin die Möglichkeit haben muss, die Belege einzusehen (Rn. 17). Denn nur so kann der Zweck des Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten erreicht werden. Er soll sich ein Bild davon machen können, ob das Nachlassverzeichnis mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt worden ist.

Es gibt nun zwei divergierende Entscheidungen zu diesem Thema. Das nächste Oberlandesgericht, das mit diesem Thema befasst ist, muss die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen.

Donnerstag, 12. Juni 2025

Wir laden keine Mandantendaten in KI-Portale hoch

Aus gegebenem Anlass: Wir laden keine Mandantendaten in KI-Portale hoch. Warum ist das wichtig? Es gibt zahlreiche Foreneinträge, in denen Rechtsanwälte davon berichten, dass sie genau das tun. Die künstliche "Intelligenz" (KI) erleichtert dem Rechtsanwalt die Arbeit, jedenfalls wenn er merkt, wann die KI gerade wieder einmal halluziniert. Es gibt auch KI-Portale, die die gesetzliche Anforderungen an Datenschutz und Verschwiegenheit erfüllen sollen, zum Beispiel Libratech.ai . Der Anwalt macht sich nicht strafbar und verstößt auch nicht gegen das Berufsrecht, wenn er das nutzt. Also laden Kollegen dort ganze Akten oder größere Aktenteile hoch. Wir tun das nicht.

Viele Rechtsanwälte bitten ihre Mandanten leider auch nicht um Erlaubnis, bevor sie ihre Daten in die KI-Portale hochladen. Falls Ihnen dies wichtig ist, sollten Sie Ihren Rechtsanwalt nach der KI-Nutzung fragen.

Freitag, 10. Januar 2025

OLG München: Kein Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Einsicht in die vom Notar auszuwertenden Unterlagen

Das Oberlandesgericht München erließ am 03.12.2024 einen beachtenswerten (wenn auch nicht unbedingt richtigen) Beschluss (33 W 1034/24 e). Danach hat der Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch darauf, die Unterlagen zu sehen, die ein Notar bei der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auswerten muss. Zudem befasste sich der Beschluss mit weiteren Fragen, die beim notariellen Nachlassverzeichnis immer wieder auftreten.

Montag, 30. Dezember 2024

OLG Hamm: Bestreiten der Echtheit eines Testaments unsubstantiiert

Das OLG Hamm führte in seinem Urteil vom 02.07.2024 - I-10 U 91/23, Rn. 43 - folgendes aus:

Soweit der Kläger die Echtheit der handschriftlich erstellten Testamente vom 05.12.2013
und 01.05.2015 in der Berufungsinstanz erstmals bestritten hat, war dieses Bestreiten unsubstantiiert und deshalb unerheblich.
Das neue Bestreiten hat der Kläger mit seinem Prozessverhalten in dem parallel geführten Verfahren vor dem Amtsgericht Essen (AZ: 158 VI 2108/17) begründet (Bd II, Bl. 92). Im Senatstermin wurde hierzu lediglich erklärt, dass der Grund in inhaltlichen Widersprüchlichkeiten der Testamente liege, die sich aus dem Vortrag der Gegenseite und der Beweisaufnahme vor dem Nachlassgericht ergeben hätten (vgl. Berichterstattervermerk, Bd II Bl. 249). Die nun behauptete Unechtheit konnte weder auf das Schriftbild, die dort befindlichen Unterschriften des Erblassers oder das sonstige Erscheinungsbild der testamentarischen Verfügungen gestützt werden. Vor dem weiteren Hintergrund der insoweit unauffällig erscheinenden handschriftlichen Verfügungen vom 05.12.2013 und vom 01.05.2015 ordnet der Senat deshalb dieses neue Bestreiten als substanzlos und damit als unerheblich ein.

Mir erscheint das sehr merkwürdig. Wer bei der Errichtung eines Testaments nicht dabei war, kann seine Echtheit mit Nichtwissen bestreiten. Das muss er nicht weiter begründen. Auch wenn ein Testament toll aussieht, kann es gefälscht sein. Dafür gibt es ja Schriftsachverständige und ihre Untersuchungsmethoden.

Eine andere Frage ist, ob das Bestreiten in der Berufungsinstanz noch zulässig war, weil es ggf. bereits in der ersten Instanz möglich gewesen wäre. Darauf hat das OLG Hamm sein Urteil jedoch nicht gestützt. So, wie es dort steht, ist es vermutlich falsch.

Mittwoch, 14. August 2024

Pflichtteilsvermeidung mit gGmbH?

Witzheller, ZErb 2024, 281 kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Pflichtteilsanspruch weitestgehend vermeiden lässt, indem der Erblasser sein Vermögen in eine gemeinnützige GmbH einbringt. Da die Gewinne in den gemeinnützigen Zweck fließen, sei die GmbH (fast) nichts wert. Wenn der Erbe die gGmbH danach wieder umwandle, müsse er zwar die steuerlichen Folgen tragen, aber der Pflichtteilsberechtigte würde leer ausgehen.

Geht das? Ich glaube nicht. Wenn der Erbe das Vermögen aus der gGmbH "herausholen" kann, dann dürfte dies zu einer entsprechend hohen Bewertung führen, aus der Pflichtteilsansprüche entstehen. Der Pflichtteilsanspruch ist verfassungsrechtlich geschützt und die Folge daraus ist, dass er nicht einfach ausgehebelt werden darf.

Ich bin mir sicher, dass die Durchsetzung dieser Ansprüche vor Gericht noch einmal ein ganz anderes Thema ist. Sie erfordert einen Pflichtteilsberechtigten, der bereit ist, ins Risiko zu gehen und Geld aufzuwenden, das er auch, wenn er gewinnt, erst Jahre später zurück erhält.

Sonntag, 28. Juli 2024

BGH zum notariellen Nachlassverzeichnis

Der BGH entschied am 19.06.2024, dass ein Notar die Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses nicht einfach verweigern darf, wenn es schwierig wird (BGH, Beschluss vom 19.06.2024 - IV ZB 13/23). Das ist nicht weiter überraschend. Im Bereich der notariellen Nachlassverzeichnisse gibt es jedoch zahlreiche ungeklärte Fragen, so dass es sich lohnt, den Beschluss des BGH näher zu betrachten.

Zunächst einmal  bestätigte der BGH seinen bisherigen Obersatz zum notariellen Nachlassverzeichnis:

"Ein notarielles Nachlassverzeichnis soll danach eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das private Verzeichnis des Erben bieten, weshalb der Notar den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen muss, dass er den Inhalt verantwortet. Der Notar ist in der Ausgestaltung des Verfahrens weitgehend frei. Er muss zunächst von den Angaben des Auskunftspflichtigen ausgehen. Allerdings darf er sich hierauf nicht beschränken und insbesondere nicht lediglich eine Plausibilitätsprüfung durchführen. Vielmehr muss er den Nachlassbestand selbst ermitteln und feststellen. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde"

Der Obersatz ist eher unpräzise. Welche Nachforschungen hält wohl ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich? Darüber werden wir uns in vielen weiteren Fällen vor den Oberlandesgerichten streiten. In der Tendenz ist die Nachforschungspflicht eher weiter als enger.

Weiterhin erklärte der BGH, wie der Notar mit Zweifeln umgehen soll, die er nicht aufklären kann:

"Stellt der Notar im Rahmen seiner Ermittlungspflicht die gebotenen Nachforschungen an und wirkt der Erbe - die Beschwerdeführerin - bei der weiteren Sachverhaltsaufklärung im erforderlichen und ihr zumutbaren Umfang mit, berechtigen verbleibende Unklarheiten den Notar nicht zur Verweigerung der Amtstätigkeit. Vielmehr hat er den zugrundeliegenden Sachverhalt in das Verzeichnis aufzunehmen und seine Zweifel zum Ausdruck zu bringen [...]. Nur so wird dem Zweck des § 2314 BGB, dem in Beweisnot befindlichen Pflichtteilsberechtigten die notwendigen Kenntnisse zur Berechnung und Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen (vgl. Senatsurteil vom 20. Mai 2020 - IV ZR 193/19, ZEV 2020, 625 Rn. 8), hinreichend Rechnung getragen. Andernfalls bestünde im Fall eines nicht aufgenommenen Verzeichnisses für den Pflichtteilsberechtigten die Gefahr, dass er seinen dem Grunde nach gegebenen Pflichtteilsanspruch der Höhe nach nicht beziffern und ihn damit faktisch nicht durchsetzen kann. Umgekehrt sähe sich der Erbe bei einem nicht erstellten Verzeichnis der Gefahr von Vollstreckungsmaßnahmen nach § 888 ZPO ausgesetzt."

 

Montag, 13. Mai 2024

LG Frankfurt: Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für eine Stufenklage?

In einem laufenden Verfahren verwies die Gegenseite auf das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 29.05.2019 - 2-04 O 242/18. Dieses ist so falsch, dass ich darauf hier kurz eingehen möchte.

Der Pflichtteilsberechtigte erhob eine Stufenklage und forderte in der ersten Stufe ein notarielles Nachlassverzeichnis. Ein Notar war beauftragt, das Verzeichnis lag noch nicht vor. Das LG Frankfurt wies die Klage ab, da dem Pflichtteilsberechtigten das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Pflichtteilsberechtigte habe noch Auskünfte gefordert und daher sei das notarielle Nachlassverzeichnis noch nicht fertig. Das ist leider falsch.

Das Rechtsschutzbedürfnis kann fehlen, wenn der Kläger einen einfacheren Weg hat, das gleiche Ziel zu erreichen. Mit der Klage erhält der Pflichtteilsberechtigte einen Titel, aus dem er vollstrecken kann. Zudem wird (mit der Stufenklage) die Verjährung recht zuverlässig gehemmt (mit Ausnahme der sechsmonatigen Untätigkeit nach § 204 Absatz 2 BGB). Anders als durch die Klage lässt sich dieses Ziel für den Pflichtteilsberechtigten nicht erreichen. Daher fehlt dieser Klage auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.

Das Gericht hat auch etwas ganz anderes geprüft. Es hat geprüft, ob ein Anlass zur Klageerhebung bestand. Dafür gibt es im Gesetz eine Vorschrift, die das LG Frankfurt nicht erwähnt (oder nicht gefunden?) hat. Nach § 93 ZPO kann der Beklagte ein sofortiges Anerkenntnis abgeben. Wenn er vorher keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat, muss der Kläger die Kosten tragen. Dies ist eine angemessene Regelung. Der Kläger erhält seinen Titel in jedem Fall. Aber wenn er zu früh klagt, trägt er die Kosten.