Die Klage stammt aus dem Jahr 2014. Den ersten Termin gab es im Jahr 2016. Darin ordnete der Richter dann recht pragmatisch die Begutachtung von Grundstücken an, für die ein Wertermittlungsantrag gestellt worden war. (Eigentlich geht das so nicht.) Die Gutachten wurden im Jahr 2018 fertiggestellt.
Ich bezifferte im Mai 2018 die Pflichtteilsansprüche. Darin nahm ich zunächst auf eine einseitige Nachlassaufstellung Bezug, in der die einzelnen Positionen aufgeführt waren und die notwendigen Berechnungen enthalten waren. Sodann machte ich im einzelnen Ausführungen zu den streitigen Positionen. Der gegnerische Kollege schrieb dazu, die Bezugnahme auf eine Anlage sei unzulässig. Das schreiben die Gegner hin und wieder. Bisher wurde es aber nie bemängelt, wenn ich eine Nachlassaufstellung als Anlage vorlegte. Trotzdem erbat ich mit einem Schriftsatz vom August 2018 einen ausdrücklichen Hinweis des Gerichts, wenn es das Vorgehen als unzulässig ansieht. Ich verwies darauf, dass ich die Tabelle dann eben in den Schiftsatz kopieren würde.
Das Gericht reagierte nicht. Die Akte lag und lag, so dass ich eine Verzögerungsrüge erheben musste. Diese beantwortete mir der Richter wie folgt:
"Dann rügen Sie mal schön!!Nun ja. Ich wies darauf hin, dass die Verzögerungsrüge Anwaltspflicht ist und sich nicht gegen den Richter, sondern gegen das Bundesland richtet, das die Justiz unzureichend ausstattet. Warum sich die Akte beim Amtsgericht befand, wusste ich auch nicht. Ich bat den Richter, dass er sich seine Akte zurückholen möge.
Die Akten sind noch immer beim Amtsgericht Darmstadt. Vielleicht rügen Sie mal dort?"
Schließlich gab es im Oktober 2019 einen Termin. Die erste Ernüchterung gab es, als ich sehen musste, dass dieser nur für 45 Minuten angesetzt war. So verlief er dann auch. Der Richter teilte mit, dass ich die Pflichtteilsansprüche "ordentlich" beziffern müsse. Anlagen müsse er nicht lesen. Ich müsse zu jeder Position (auch den unstreitigen) im Langtext vortragen. Ich verwies darauf, dass ich um einen ausdrücklichen Hinweis gebeten hatte. Er sagte: "Den erhalten Sie doch jetzt." Weiterhin wies er "aus Fürsorge" darauf hin, dass er in etwa einem Jahr in Pension gehe. Ich bot dem Richter daraufhin an, den (ja vorhandenen) Sachvortrag nochmals zu Protokoll zu erklären. Dies lehnte er wegen des zu erwartenden Umfangs ab.
Was ist die Bilanz? Ich bin über 800 km umsonst gefahren. Die Ökobilanz ist in jedem Fall schlecht. Ich bin 5:22 Uhr losgefahren und war knapp 11 Stunden unterwegs. Das alles wäre nicht erforderlich gewesen, wenn der Richter einen einzigen Satz geschrieben hätte.
Aber darum ging es ja nicht. Der Richter hätte eigentlich einen umfangreichen Termin durchführen müssen und sich mit jeder streitigen Position im Nachlassverzeichnis befassen müssen. Im Termin im Jahr 2016 hatte ich auch schon eine vorläufige Nachlassberechnung vorgelegt, bei der aber noch Positionen offen waren. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Beanstandung und der Richter hat sie seiner Verhandlung zugrunde gelegt. Die Gegenseite hat auf meine (letzte) Nachlassaufstellung erwidert und ich habe nochmals auf die Ausführungen der Gegenseite erwidert. Es gab also mehr als genug inhaltliche Ausführungen. Aber dann hätte der Richter womöglich noch inhaltlich entscheiden müssen, bevor er in Pension geht. So kann der Richter den Rechtsstreit jetzt ohne Probleme verschieben, bis er nicht mehr da ist. Da er nicht entschieden hat, sondern nur einen Hinweis gegeben hat, liegt auch noch keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör vor.
Der Vollständigkeit halber: Ich hatte die Übertragung auf die Kammer im Jahr 2016 beantragt. Sie wurde aber abgelehnt.
Was kann man tun?
- Zunächst einmal hat der BGH am 02.10.2018 - VI ZR 213/17 entschieden, dass ein Gericht eine konkret in Bezug genommene Anlagen lesen muss. Bisher waren die Richter immer dankbar, wenn sie sich an einer übersichtlichen Nachlassaufstellung festhalten konnten. Ich kenne es so, dass der Beklagte (Erbe) sodann sagen muss, an welcher Stelle die Nachlassaufstellung und Berechnung des Pflichtteilsberechtigten aus einer Sicht fehlerhaft ist.
- Ein Befangenheitsantrag wäre sicher möglich gewesen. Meine Mandanten wollten ihn nicht. Er hätte auch nichts genützt. Das Ergebnis wäre nur, dass wir einen neuen Richter erhalten - und zwar unabhängig vom Ausgang. Wenn der Befangenheitsantrag durchgeht, gibt es einen neuen Richter. Wenn er nicht durchgeht, geht der Richter in Pension und es gibt einen neuen Richter. Ich habe auch schon erlebt, dass der Befangenheitsantrag liegen gelassen wurde, bis der Richter nicht mehr da war. Das Ergebnis ist immer gleich.
- Bei jüngeren Richtern wird der Befangenheitsantrag empfohlen, um ihnen einen "Ende der Karriere-Stempel" in den Akten zu bescheren. Ob das wirklich funktioniert, weiß ich nicht. Bei Richtern vor der Pensionierung kann ich mir nicht vorstellen, dass es etwas nützt.
- Alle anderen Überlegungen scheitern an der viel gepriesenen richterlichen Unabhängigkeit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen