Ich habe dieses Thema geprüft und für mich mit ja beantwortet. Im Jahr 2020 habe ich dazu auch einen Aufsatz geschrieben (ErbR 2020, 783). Zugleich war das Thema Gegenstand vieler meiner Zivilprozesse. Danach folgte der Frust. Viele Gerichte suchten Ausflüchte, um das Thema nicht prüfen zu müssen. In einem Verfahren war der Pflichtteilsberechtigte nicht beim (600 km entfernten) Notar, weil dieser bereits angekündigt hatte, dass es keine Einsicht in die Belege gibt. Das zuständige Oberlandesgericht untstellte ihm deshalb, er habe auf sein Zuziehungsrecht verzichtet. In einem anderen Verfahren entschied ein anderes Oberlandesgericht, die Frage sei im Auskunftstitel nicht enthalten und müsse per Klageerweiterung wieder in der ersten Instanz anhängig gemacht werden.
Einen Tiefschlag setzte der Beschluss des OLG München vom 03.12.2024. (Ich weiß nicht, wer an diesem Verfahren beteiligt war.) In diesem Beschluss hat das OLG München den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Belegeinsicht verneint und das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten vollständig entwertet. Es hat dafür in der Literatur Kritik erhalten, wurde aber zum Beispiel auch bei einem Editorial gelobt, bei dem zugleich verkündet wurde, dass der vorsitzende Richter in den Beirat einer Fachzeitschrift aufgenommen wurde.
Kurzer Zwischengedanke: Wem nützt es eigentlich, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Kontoauszüge und Belege nicht sehen darf? Aufrichtigte Erben legen alles offen und fügen die Belege von sich aus bei. Gute Notare prüfen alles intensiv und vollständig und geben mindestens die Inhalte vollständig und zutreffend wieder. Der Nutzen liegt bei Erben, die durch eine unzureichende Auskunft den Pflichtteilsanspruch reduzieren wollen. Das ist zwar ein versuchter Betrug, wird aber nach meinen Erfahrungen faktisch nicht verfolgt. Weiterhin können sich Richter und Notare über mehr Freizeit freuen, wenn die Belege und Kontoauszüge nicht so genau angeschaut werden und die wirklich schwiergen Fragen gar nicht erst aufkommen.
Nun gibt es einen Lichtblick. Es wurde ein Beschluss des OLG Karlsruhe vom 30.03.2023 - 14 W 27/23 ( ErbR 2025, 584) veröffentlicht. Das OLG Karlsruhe entschied, dass der Pflichtteilsberechtigte beim Notartermin die Möglichkeit haben muss, die Belege einzusehen (Rn. 17). Denn nur so kann der Zweck des Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten erreicht werden. Er soll sich ein Bild davon machen können, ob das Nachlassverzeichnis mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt worden ist.
Es gibt nun zwei divergierende Entscheidungen zu diesem Thema. Das nächste Oberlandesgericht, das mit diesem Thema befasst ist, muss die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen.
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