Der XII. Zivilsenat des BGH ist der Auffassung, dass die Mehrheit der Miterben die Leistung eines Schuldners allein entgegennehmen kann und keine Hinterlegung für alle Erben erforderlich ist. (BGH, Urteil vom 19.09.2012 - XII ZR 151/10)
Im Fall des BGH gab es zwei Erben, ein Erbe hatte einen Anteil von 3/4, der andere von 1/4. Die Erbengemeinschaft hatte einen titulierten Anspruch gegen eine GmbH in Höhe von ca. 15.000 €. Der Mehrheitserbe war zugleich Geschäftsführer und Gesellschafter der GmbH, worauf es rechtlich aber nicht weiter ankommt.
Der Mehrheitserbe hatte bei einer Bank ein Konto eröffnet. Dieses Konto trug zwar die Kontobezeichnung "Erbengemeinschaft A. G.", es handelte sich jedoch um ein Konto, über das nur der Mehrheitserbe verfügen konnte und das allein ihm zustand (Rn. 8 des Urteils). Auf dieses Konto zahlte die GmbH die ca. 15.000 €. Es stellte sich die Frage, ob die GmbH ihre Schuld gegenüber der Erbengemeinschaft durch diese Zahlung erfüllt hatte.
§ 2039 S. 1 BGB sagt dazu, dass der Verpflichtete nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten kann. § 2039 S. 2 BGB nennt als Weg dazu die Hinterlegung der Geldsumme. Möglich ist auch die Zahlung auf ein Und-Konto der Miterben, über das nur alle Miterben gemeinsam verfügen können. Ein Und-Konto gab es hier nicht und hinterlegt wurde der Gelbetrag auch nicht. Die Antwort müsste daher lauten, dass die GmbH die Forderung nicht erfüllt hat, da sie nur an den Mehrheitserben und nicht an beide Erben geleistet hat.
Der XII. Senat des BGH entschied hingegen das Gegenteil. Nach Ansicht des Senats konnte sich der Mehrheitserbe im Namen der Erbengemeinschaft dazu ermächtigen, das Geld in Empfang zu nehmen. Nach § 2038 Absatz 2 Satz 1 BGB, § 745 Absatz 1 Satz 1 BGB kann bei einer Erbengemeinschaft die Mehrheit der Miterben ordnungsgemäße Verwaltungsmaßnahmen beschließen. Nach der Rechtsprechung kann die Mehrheit dabei auch die Minderheit nach außen vertreten. Es stellt sich die Frage, wie sich die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen zu § 2039 BGB verhält, der gerade anordnet, dass bei einer Erbengemeinschaft nur an alle Miterben geleistet werden kann. Diese Frage hat sich der XII. Senat des BGH jedoch nicht gestellt und sie deshalb auch nicht beantwortet. Nach der allgemeinen Methodenlehre geht die speziellere Norm der allgemeineren Norm vor. § 2039 BGB ist hier die speziellere Norm, so dass kein Raum für Mehrheitsentscheidungen bleibt.
Der XII. Senat des BGH musste nach seiner Ansicht weiter prüfen, ob die Zahlung der Forderung auf das Konto des Mehrheitserben bzw. dessen Entgegennahme des Geldes eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung ist. Das lässt sich eigentlich nicht bejahen, da die Interessen des Minderheitserben nicht berücksichtigt wurden und der Mehrheitserbe im Prinzip mit dem Geld tun und lassen konnte, was er wollte. Der Minderheitserbe wäre auf schuldrechtliche Ansprüche verwiesen und wäre dem Insolvenzrisiko des Mehrheitserben ausgesetzt. Der XII. Senat des BGH behauptet zunächst, eine Hinterlegung des Geldes wäre nicht geeignet gewesen, weil das Geld der Erbengemeinschaft dann nicht zur Bestreitung der laufenden Kosten zur Verfügung gestanden hätte. Das stimmt nicht, weil der Mehrheitserbe sich zur Bestreitung der Kosten den Zugriff auf das Geld verschaffen kann - und sei es über eine Klage und Erbteilspfändung. Zum anderen steht die Hinterlegung in § 2039 S. 2 BGB ausdrücklich im Gesetz und dieses ist auch für den XII. Senat des BGH bindend (Art. 20 Absatz 3 GG).
Der XII. Senat des BGH stützt sich weiterhin auf die Annahme, der Mehrheitserbe habe ein Treuhandverhältnis zur Erbengemeinschaft begründet (Rn. 18 des Urteils). Das nützt dem Minderheitserben wenig, weil es dann zusätzlich zu seinen ohnehin bestehenden Ansprüchen noch einen weiteren schuldrechtlichen Anspruch der Erbengemeinschaft gäbe, der nicht gesichert ist. Konsequenterweise müsste der Minderheitserbe dann aus dem Treuhandverhältnis vom Mehrheitserben verlangen können, dass dieser nach § 2039 S. 2 BGB die Geldsumme für die Erbengemeinschaft hinterlegt. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
Als Fazit bleibt: Falls sich die Linie des XII. Senats des BGH durchsetzen sollte, gibt es die Hinterlegung allenfalls noch dann, wenn es in der Erbengemeinschaft keine Mehrheiten gibt. Andernfalls kann die Mehrheit einfach die Zahlungen für die Erbengemeinschaft entgegennehmen und auf eigenen Konten parken. Die Aufforderung zur Hinterlegung wäre dann sogar ein anwaltlicher Kunstfehler.
Oder aber der XII. Senat des BGH hat hier schlicht eine Fehlentscheidung abgeliefert, die bei nächster Gelegenheit zu korrigieren ist.
Update (16.01.2013): Der Kollege Dr. Kuhn wies in der Xing-Gruppe Erbrecht darauf hin, dass das OLG Hamm die obige Entscheidung des BGH im Beschluss vom 21.11.2012 - 15 W 338/12 - unkritisch übernommen hat.
Update2 (25.02.2013): Leipold, ZEV 2013, 82 , kritisiert das Urteil des BGH ebenfalls, aber eher zurückhaltend.
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