Freitag, 7. November 2025

OLG Oldenburg kann die Echtheit eines Testaments ohne Sachverständigengutachten prüfen (denkt es)

Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 20.12.2023 - 3 W 96/23) musste über die Echtheit eines Testaments entscheiden, das auf einem Notizzettel einer Brauerei verfasst war. Darauf stand: "BB kriegt alles AA 04.12.22".

Die Beteiligten stritten unter anderem darum, ob dieses Testament echt war. Dies bejahte das OLG Oldenburg ohne ein Sachverständigengutachten mit den folgenden Argumenten:

"Hierbei ist es dem Senat auf Grund eigner Sachkunde möglich, die Echtheit der Verfügung ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens selbst zu beurteilen. Der Senat beurteilt als Fachsenat für Erb- und Nachlasssachen regelmäßig handschriftliche Testamente auf ihre Echtheit und gleicht hierzu jährlich eine Vielzahl von Handschriften mit Vergleichsproben ab. Darüber hinaus hat der Senat durch die Auswertung einer Vielzahl von schriftsachverständlichen Gutachten eine umfangreiche Sachkunde in den Besonderheiten des Schriftvergleichs erworben." (Rn. 20)

Kann man etwas nur deshalb, weil man es oft genug gesehen hat, z.B. wenn man oft genug beim Arzt war oder mit dem Flugzeug geflogen ist? Ich habe da meine Zweifel. Denn dann fehlt immer noch die fundierte theoretische Ausbildung.

Nach dem Geschäftsverteilungsplan des OLG Oldenburg ist der 3. Zivilsenat für die Nachlasssachen zuständig. Das ist auch aus dem Aktenzeichen oben ersichtlich. Im Jahr 2023 wies der Geschäftsverteilungsplan die folgende Besetzung auf.:

Vorsitzender: N. N. 
weitere Mitglieder: 

  • Richterin am OLG von Teichman und Logischen (6/8) (ständige Vertreterin des Vorsitzenden)
  • Richter am OLG Schachtschneider
  • Richter am OLG Gerwert  

Leider kann ich nicht sehen, wer den Beschluss erlassen hat. Ich kann auch nicht sehen, ob die Besetzung des Senats sich in den Jahren davor verändert hat. Einen Vorsitzenden gab es jedenfalls nicht, was kein gutes Zeichen ist.

Das OLG Oldenburg führte weiter aus:

"Für die Echtheit spricht hier insbesondere, dass das Schriftbild der Unterschrift in seinem Gesamteindruck mit dem Eindruck der vorgelegten jüngeren Vergleichsproben übereinstimmt. Die Unterschrift auf der Verfügung vom 04.12.2022 wie auch die Unterschriften der Vergleichsproben weisen eine vergleichbare Dynamik und Formgebung der Buchstaben auf. Dies betrifft insbesondere die Vergleichsproben unter dem Darlehensvertrag vom 12.09.2022. Charakteristisch ist darüber hinaus, dass sich die Unterschriften im letzten Drittel von einer gedachten Linie ausgehend nach rechts oben wegbewegen. Darüber hinaus sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die für eine Fälschung durch ein Nachahmen der Handschrift oder ein Abpausen der Unterschrift sprechen. Insbesondere sind keine Unterbrechungen oder Anflickungen im Schriftbild feststellbar, das Schriftbild wirkt in sich flüssig geschrieben und es ist keine übermäßige Druckgebung erkennbar." (Rn. 21)

In den Sachverständigengutachten, die ich kenne, haben die Sachverständigen das Original mit einem Gerät untersucht, das Fälschungsspuren erkennen kann. Zudem haben sie Vergrößerungen angefertigt, bei denen man die Verwischungen des Schreibmaterials, etc. genau sehen kann. Hatte das OLG Oldenburg diese technischen Möglichkeiten? Hat es sie genutzt? Davon steht im Beschluss nichts.

Weiterhin führte das OLG Oldenburg dann zu den Einzelheiten des Testaments aus:

"Der Anfangsbuchstabe „(...)“ des Vornamens AA wurde in seiner charakteristischen 
Formgebung so geschrieben, wie in den Vergleichsproben. Dass sich in dem unteren Be
reich des Buchstabens „(...)“ ein weiterer Haken – vergleichbar mit einem kleinen „u“ befindet – ist hierbei unbeachtlich. Denn bei genauer Betrachtung der Unterschrift wird  deutlich, dass der Buchstabe „(...)“ durchgehend und ohne Anflickungen geschrieben wurde. Der zu erkennende Haken wurde entweder anschließend eingefügt oder befand sich bereits auf dem Zettel. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass er in einem Zusammenhang mit der Formung des Buchstaben „(...)“ steht. Auch die Buchstaben „(...)“ im Nachnamen AA gleichen den Vergleichsproben. So wurde das doppelte „(...)“ durchgehend sowie in der unteren Verbindung relativ rund geschrieben und mit einem durchgehenden (...)-Stricht versehen, der beide Buchstaben verbindet.
Soweit die Formgebung einzelner Buchstaben leicht von einzelnen Vergleichsproben abweicht, führt dies zu keiner anderen Betrachtung. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigten, dass die Verfügung vom 04.12.2022 den Eindruck hinterlässt, dass sie besonders sorgfältig geschrieben wurde. Hinsichtlich der von den Beteiligten zu 2) – 5) vorgelegten Vergleichsproben ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass diese teilweise sehr alt sind. Sie wurden teilweise 30 – 40 Jahre vor Abfassung der hier gegenständlichen Verfügung geschrieben. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich das Schriftbild eines Menschen im Laufe der Zeit teilweise verändert, eignen sich diese Vergleichsproben nicht, um ausreichende Zweifel an der Echtheit zu begründen.
Für die Echtheit spricht im konkreten Falle darüber hinaus, die Verwendung eines Bestellzettels einer Brauerei sowie die konkrete und von der Beteiligten zu 1) glaubhaft geschilderte Auffindestelle. Der Erblasser war jahrelang in der Gastronomie tätig – er betrieb eine klassische Dorf-Kneipe -, kümmerte sich jedoch kaum um Schriftverkehr und ähnliches. Vor diesem Hintergrund ist es nicht fernliegend, dass er einen von ihm üblicherweise verwandten Bestellzettel nutzte, um auf einem solchen auch bedeutsame Angelegenheiten wie seine letztwillige Verfügung niederzulegen. Nach den Angaben der Beteiligten zu 1) nutzte der Erblasser auch den Bereich hinter dem Tresen im Schankraum, an dem die Beteiligte zu 1) nach eigener glaubhafter Bekundung den Zettel fand,um dort für ihn bedeutsame Unterlagen wie nicht gezahlte Deckel aufzubewahren. Das ebenfalls vorhandene Büro nutzte er hierfür hingegen kaum. Auch habe es sich bei dem Bereich hinter dem Tresen aus Perspektive des Erblassers um eine Art Wohnzimmer gehandelt. Er habe diesen Bereich nicht nur als Arbeitsraum genutzt. Vielmehr habe er dort auch häufig gesessen, wenn keine Gäste zugegen waren oder die Gaststätte geschlossen war und von dort aus durch das Fenster das Treiben auf der Straße beobachtet. Hiernach verbrachte der Erblasser an dem Ort, an dem die Verfügung aufgefunden wurde, auch außerhalb seiner gastronomischen Tätigkeit viel Zeit und teilte diesen für sich nicht von seinen Privaträumen ab. Daher ist es nachvollziehbar, dass der Erblasser auch für sich gewichtige private Unterlagen dort ablegte.
Gegen eine Fälschung spricht schließlich die konkrete Formulierung des auf den 04.12.2022 datierten Schreibens. Dieses enthält die – wie nachfolgend dargelegt – Mindestanforderungen eines Testaments ohne weitere übliche Formulierungen wie „Testament“, „letzter Wille“, „Erbe“, u.ä. zu verwenden. Im Falle einer Fälschung wäre es jedoch nachliegend gewesen, dass der Fälscher diese oder ähnliche Begriffe verwandt hätte um nicht Gefahr zu laufen, dass das Schreiben nicht als Testament anerkannt wird. Dies geschah hingegen nicht, was die Annahme überwiegen lässt, dass der Erblasser das Schreiben selbst verfasste." (Rn. 22 - 25)

Diese Ausführungen klingen laienhaft. Der Sachverständige stellt normalerweise verschiedene Eigenschaften der Schrift auf dem Testament und auf den Vergleichsproben fest. Dabei fallen ihm Dinge auf, die man als Laie einfach nicht sehen kann (und schon gar nicht ohne Vergrößerung).

Was ist also von der Entscheidung des OLG Oldenburg zu halten? Sie verletzt das Recht der Beteiligten auf rechtliches Gehör. Das Gericht hatte keine eigene Sachkunde. Es hätte ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Wie dies dann ausgegangen wäre, lässt sich nicht sagen. Die Beteiligten können eine Erbenfeststellungsklage vor den Zivilgerichten erheben und das ganze Verfahren noch einmal neu beginnen, wenn sie denn bereit sind, das Kostenrisiko einzugehen. Ich würde vermutlich außergerichtlich ein Schriftgutachten einholen lassen, wenn dafür genug Vergleichsmaterial zur Verfügung steht. Der Gutachter erhält nach meinen Erfahrungen das Originaltestament vom Gericht zur Untersuchung. 

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