Sonntag, 28. September 2025

Kein Wertermittlungsantrag neben Zahlungsantrag

Das OLG Zweibrücken entschied am 25.06.2025 (8 U 18/25), dass einem Wertermittlungsantrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn daneben bereits der Zahlungsantrag voll beziffert wird. Denn dann gibt es im Verfahren über den Zahlungsanspruch ohnehin meist ein Gutachten. Ein weiteres außergerichtliches Gutachten hat daneben keinen Sinn (und würde im Zusammenhang mit der Vollstreckung auch ggf. länger dauern).

Wo liegt der Fehler des Kläger? 

Er  hätte eine Stufenklage erheben müssen (erst Wertermittlung, dann abschließende Bezifferung).

Hätte es genügt, wenn der Zahlungsanspruch nur teilweise beziffert worden wäre?

Ja und nein. Der Wertermittlungsantrag wäre nicht unzulässig gewesen. Aber die Gerichte lassen Teilklagen meist liegen, bis die vorherige Stufe abgeschlossen ist. In Ausnahmefällen habe ich das aber auch schon anders erlebt.

Wie sieht es mit der Verjährungshemmung aus? 

Das Vorgehen des Klägers führt dazu, dass die Verjährung nur in der Höhe gehemmt wird, in der beziffert wurde. Wenn das Gutachten dann einen höheren Wert ausweist, ist der weitere Anspruch verloren, wenn das Verfahren entsprechend lange dauert. Daher ist der unbezifferte Zahlungsantrag immer erforderlich.

Freitag, 22. August 2025

Wir haben die Akte dann mal ans AG Chemnitz verschickt...

Als Fachanwalt für Erbrecht muss ich regelmäßig Akteneinsicht in Nachlassakten nehmen. Das passiert sinnvollerweise so, dass ich mir eine Kopie der Nachlassakte schicken lasse (bzw. elektronische Akteneinsicht nehme, wo das schon geht). Auf die Aktenkopie gibt es einen Anspruch aus § 13 Absatz 3 Satz 1 FamFG. Dafür entstehen (überschaubare) Kopierkosten.

In regelmäßigen Abständen schreibt mir ein Nachlassgericht, dass es die Nachlassakte ans Amtsgericht Chemnitz übersandt habe, damit ich dort Akteneinsicht nehmen kann. Warum bitte? Das habe ich doch gar nicht beantragt! Der Aufwand ist viel höher. Das Amtsgericht Chemnitz wird beschäftigt. Ich muss dort hinfahren. Am Ende muss die Akte trotzdem kopiert werden, weil ich mir nicht alles merken kann und weil ich zu diesem Zeitpunkt teilweise noch gar nicht weiß, worauf es später einmal ankommt.

Also schreibe ich dem Nachlassgericht, dass ich bitte meine Aktenkopie möchte, so wie ich es beantragt habe. Zudem schreibe ich dem Amtsgericht Chemnitz, dass es die Akte bitte wieder zurückschicken soll, damit das Nachlassgericht eine Aktenkopie fertigen kann. Es entsteht eine Menge sinnloser Aufwand. Wenn ich mir vorstelle, dass das dann nicht nur mir so geht, sondern auch anderen Anwälten, scheint es hier erhebliches Verbesserungspotential zu geben, um die überlastete Rechtspflege zu entlasten.

Ich schreibe dies, weil in meiner Postmappe gerade wieder ein Schreiben eines Nachlassgerichts liegt:

"In der Nachlassangelegenheit ...
übersenden wir die Nachlassakte zum Amtsgericht Chemnitz, damit Sie dort Akteneinsicht nehmen können.
Vereinbaren Sie bitte dort einen Termin."

Freitag, 25. Juli 2025

Darf der Pflichtteilsberechtigte die Belege des Erblasser sichten? Ja laut OLG Karlsruhe

Ich habe dieses Thema geprüft und für mich mit ja beantwortet. Im Jahr 2020 habe ich dazu auch einen Aufsatz geschrieben (ErbR 2020, 783). Zugleich war das Thema Gegenstand vieler meiner Zivilprozesse. Danach folgte der Frust. Viele Gerichte suchten Ausflüchte, um das Thema nicht prüfen zu müssen. In einem Verfahren war der Pflichtteilsberechtigte nicht beim (600 km entfernten) Notar, weil dieser bereits angekündigt hatte, dass es keine Einsicht in die Belege gibt. Das zuständige Oberlandesgericht untstellte ihm deshalb, er habe auf sein Zuziehungsrecht verzichtet. In einem anderen Verfahren entschied ein anderes Oberlandesgericht, die Frage sei im Auskunftstitel nicht enthalten und müsse per Klageerweiterung wieder in der ersten Instanz anhängig gemacht werden.

Einen Tiefschlag setzte der Beschluss des OLG München vom 03.12.2024. (Ich weiß nicht, wer an diesem Verfahren beteiligt war.) In diesem Beschluss hat das OLG München den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Belegeinsicht verneint und das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten vollständig entwertet. Es hat dafür in der Literatur Kritik erhalten, wurde aber zum Beispiel auch bei einem Editorial gelobt, bei dem zugleich verkündet wurde, dass der vorsitzende Richter in den Beirat einer Fachzeitschrift aufgenommen wurde.

Kurzer Zwischengedanke: Wem nützt es eigentlich, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Kontoauszüge und Belege nicht sehen darf? Aufrichtigte Erben legen alles offen und fügen die Belege von sich aus bei. Gute Notare prüfen alles intensiv und vollständig und geben mindestens die Inhalte vollständig und zutreffend wieder. Der Nutzen liegt bei Erben, die durch eine unzureichende Auskunft den Pflichtteilsanspruch reduzieren wollen. Das ist zwar ein versuchter Betrug, wird aber nach meinen Erfahrungen faktisch nicht verfolgt. Weiterhin können sich Richter und Notare über mehr Freizeit freuen, wenn die Belege und Kontoauszüge nicht so genau angeschaut werden und die wirklich schwiergen Fragen gar nicht erst aufkommen.

Nun gibt es einen Lichtblick. Es wurde ein Beschluss des OLG Karlsruhe vom 30.03.2023 - 14 W 27/23 ( ErbR 2025, 584) veröffentlicht. Das OLG Karlsruhe entschied, dass der Pflichtteilsberechtigte beim Notartermin die Möglichkeit haben muss, die Belege einzusehen (Rn. 17). Denn nur so kann der Zweck des Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten erreicht werden. Er soll sich ein Bild davon machen können, ob das Nachlassverzeichnis mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt worden ist.

Es gibt nun zwei divergierende Entscheidungen zu diesem Thema. Das nächste Oberlandesgericht, das mit diesem Thema befasst ist, muss die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen.

Donnerstag, 12. Juni 2025

Wir laden keine Mandantendaten in KI-Portale hoch

Aus gegebenem Anlass: Wir laden keine Mandantendaten in KI-Portale hoch. Warum ist das wichtig? Es gibt zahlreiche Foreneinträge, in denen Rechtsanwälte davon berichten, dass sie genau das tun. Die künstliche "Intelligenz" (KI) erleichtert dem Rechtsanwalt die Arbeit, jedenfalls wenn er merkt, wann die KI gerade wieder einmal halluziniert. Es gibt auch KI-Portale, die die gesetzliche Anforderungen an Datenschutz und Verschwiegenheit erfüllen sollen, zum Beispiel Libratech.ai . Der Anwalt macht sich nicht strafbar und verstößt auch nicht gegen das Berufsrecht, wenn er das nutzt. Also laden Kollegen dort ganze Akten oder größere Aktenteile hoch. Wir tun das nicht.

Viele Rechtsanwälte bitten ihre Mandanten leider auch nicht um Erlaubnis, bevor sie ihre Daten in die KI-Portale hochladen. Falls Ihnen dies wichtig ist, sollten Sie Ihren Rechtsanwalt nach der KI-Nutzung fragen.

Freitag, 10. Januar 2025

OLG München: Kein Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Einsicht in die vom Notar auszuwertenden Unterlagen

Das Oberlandesgericht München erließ am 03.12.2024 einen beachtenswerten (wenn auch nicht unbedingt richtigen) Beschluss (33 W 1034/24 e). Danach hat der Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch darauf, die Unterlagen zu sehen, die ein Notar bei der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auswerten muss. Zudem befasste sich der Beschluss mit weiteren Fragen, die beim notariellen Nachlassverzeichnis immer wieder auftreten.

Montag, 30. Dezember 2024

OLG Hamm: Bestreiten der Echtheit eines Testaments unsubstantiiert

Das OLG Hamm führte in seinem Urteil vom 02.07.2024 - I-10 U 91/23, Rn. 43 - folgendes aus:

Soweit der Kläger die Echtheit der handschriftlich erstellten Testamente vom 05.12.2013
und 01.05.2015 in der Berufungsinstanz erstmals bestritten hat, war dieses Bestreiten unsubstantiiert und deshalb unerheblich.
Das neue Bestreiten hat der Kläger mit seinem Prozessverhalten in dem parallel geführten Verfahren vor dem Amtsgericht Essen (AZ: 158 VI 2108/17) begründet (Bd II, Bl. 92). Im Senatstermin wurde hierzu lediglich erklärt, dass der Grund in inhaltlichen Widersprüchlichkeiten der Testamente liege, die sich aus dem Vortrag der Gegenseite und der Beweisaufnahme vor dem Nachlassgericht ergeben hätten (vgl. Berichterstattervermerk, Bd II Bl. 249). Die nun behauptete Unechtheit konnte weder auf das Schriftbild, die dort befindlichen Unterschriften des Erblassers oder das sonstige Erscheinungsbild der testamentarischen Verfügungen gestützt werden. Vor dem weiteren Hintergrund der insoweit unauffällig erscheinenden handschriftlichen Verfügungen vom 05.12.2013 und vom 01.05.2015 ordnet der Senat deshalb dieses neue Bestreiten als substanzlos und damit als unerheblich ein.

Mir erscheint das sehr merkwürdig. Wer bei der Errichtung eines Testaments nicht dabei war, kann seine Echtheit mit Nichtwissen bestreiten. Das muss er nicht weiter begründen. Auch wenn ein Testament toll aussieht, kann es gefälscht sein. Dafür gibt es ja Schriftsachverständige und ihre Untersuchungsmethoden.

Eine andere Frage ist, ob das Bestreiten in der Berufungsinstanz noch zulässig war, weil es ggf. bereits in der ersten Instanz möglich gewesen wäre. Darauf hat das OLG Hamm sein Urteil jedoch nicht gestützt. So, wie es dort steht, ist es vermutlich falsch.

Mittwoch, 14. August 2024

Pflichtteilsvermeidung mit gGmbH?

Witzheller, ZErb 2024, 281 kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Pflichtteilsanspruch weitestgehend vermeiden lässt, indem der Erblasser sein Vermögen in eine gemeinnützige GmbH einbringt. Da die Gewinne in den gemeinnützigen Zweck fließen, sei die GmbH (fast) nichts wert. Wenn der Erbe die gGmbH danach wieder umwandle, müsse er zwar die steuerlichen Folgen tragen, aber der Pflichtteilsberechtigte würde leer ausgehen.

Geht das? Ich glaube nicht. Wenn der Erbe das Vermögen aus der gGmbH "herausholen" kann, dann dürfte dies zu einer entsprechend hohen Bewertung führen, aus der Pflichtteilsansprüche entstehen. Der Pflichtteilsanspruch ist verfassungsrechtlich geschützt und die Folge daraus ist, dass er nicht einfach ausgehebelt werden darf.

Ich bin mir sicher, dass die Durchsetzung dieser Ansprüche vor Gericht noch einmal ein ganz anderes Thema ist. Sie erfordert einen Pflichtteilsberechtigten, der bereit ist, ins Risiko zu gehen und Geld aufzuwenden, das er auch, wenn er gewinnt, erst Jahre später zurück erhält.