Nach Ansicht des OLG Celle gibt es keine Prozesskostenhilfe für Stufenklagen - eine krasse Fehlentscheidung (OLG Celle, Beschluss vom 14.06.2012 - 6 W 77/12).
Eine bedürftige Pflichtteilsberechtigte wollte beim Landgericht Hannover eine Stufenklage erheben. Dafür beantragte sie Prozesskostenhilfe. Das Landgericht Hannover lehnte den Antrag ab. Das OLG Celle hatte über die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe zu entscheiden.
Das OLG Celle ist der Ansicht, über die Prozesskostenhilfe sei bei einer Stufenklage stufenweise zu entscheiden. In der Regel beantragt ein Pflichtteilsberechtigter zunächst Auskunft, dann Wertermittlung, dann ggf. die eidesstattliche Versicherung und danach die Zahlung des sich aus den Auskünften und der Wertermittlung ergebenden Betrags. Das OLG Celle will nur über den Auskunftsantrag entscheiden. Für die restlichen Anträge verweigert das OLG Celle der Antragstellerin eine Entscheidung. Eine gesetzliche Grundlage benennt das OLG Celle dafür nicht. Die Begründung des OLG Celle: "Erhielte die bedürftige Partei Prozesskostenhilfe sogleich für die gesamte Klage, könnte sie wegen ihrer Kosten zu Unrecht öffentliche Mittel nach dem Streitwert ihrer in der Klagschrift geäußerten Erwartung, die sie im Ergebnis in ihre Stufenklage setzt, in Anspruch nehmen, auch wenn diese Erwartung sich nach erteilter Auskunft als zu hoch erweist" (Rn. 7). Zutreffend ist daran, dass bei einer Stufenklage ein einheitlicher Streitwert für die gesamte Klage festzusetzen ist. Dieser Streitwert richtet sich danach, was der Antragsteller in der Zahlungsstufe erwartet. Die Erwartungen des Antragstellers kann das Gericht im Rahmen der Prozesskostenhilfe nachprüfen. Es kann sich auch eine weitere Prüfung vor der Bezifferung des Zahlungsantrags vorbehalten. Es gibt jedoch keine Grundlage dafür, dass das Gericht über den Prozesskostenhilfeantrag teilweise gar nicht entscheidet. Die Befürchtung des OLG Celle ist auch abwegig. Zum einen sind die Gebühren nach der Prozesskostenhilfetabelle extrem niedrig und bei einem Wert von 30.000 € gekappt, zum anderen haftet der Antragsteller für die Anwaltskosten des Gegners, wenn er verliert (§ 123 ZPO) - und zwar in voller Höhe nach der normalen Gebührentabelle. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Antragsteller seine Ansprüche in einem frühen Stadium künstlich hochschraubt.
Nachdem das OLG Celle die Stufenklage künstlich aufgespalten hatte, konnte es der Antragstellerin eine weitere bitte Pille verpassen. Die verbliebene Auskunftsklage sei vom Streitwert her so gering, dass sie in die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts fiel. Deshalb musste das LG Hannover auch für diese Auskunftsklage keine Prozesskostenhilfe bewilligen. Allerdings gab es da doch noch etwas. Ach ja, das Verfassungsrecht. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet es, dass ein bedürftiger Mandant seine Rechte genauso vor Gericht verfolgen kann wie ein Mandant, der sich die Prozessführung leisten kann. Für den bemittelten Mandanten gibt es viele gute Gründe, eine Stufenklage zu erheben. Der mittellose Mandant darf nach der Ansicht des OLG Celle keine Stufenklage erheben. Nein, er muss sogar zu einem niedrigeren Gericht gehen, um sein Recht zu verfolgen. Irgendwann muss er die Klage dann um seinen Zahlungsantrag erweitern und gerät wieder in die Zuständigkeit des Landgerichts. Sinnvoll ist das nicht, verfassungsgemäß auch nicht. Das OLG Celle hat sich mit der Frage nach dem Verfassungsrecht nicht auseinandergesetzt.
Das OLG Celle hat einen weiteren wichtigen Punkt übersehen. Wenn ich als Rechtsanwalt keine Prozesskostenhilfe für eine Stufenklage erhalte, dann erhebe ich auch keine Stufenklage. Und da hilft es auch nichts, dass sich das OLG Celle weigert, über den Antrag komplett zu entscheiden. Die Weigerung ist für den Mandanten wie eine Ablehnung - nur dass es schwieriger ist, weitere Rechtsbehelfe zu ergreifen. Wenn es dann aber nur eine Auskunftsklage gibt, kann es durchaus passieren, dass der Pflichtteilsanspruch zwischenzeitlich verjährt. Ob dies nach § 204 Absatz 1 Nr. 14 BGB verhindert wird, wonach die Bekanntgabe eines Prozesskostenhilfeantrags genügt, steht in den Sternen. Der Gesetzgeber hatte wohl keine Fälle im Sinn, in denen Gerichte sich weigern zu entscheiden. Nach § 204 Absatz 2 Satz 2 BGB kann die Verjährungshemmung auch dadurch entfallen, dass die Parteien das Verfahren nicht betreiben. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Antragsteller im Fall des OLG Celle später von einem anderen Gericht gesagt bekommt, er hätte gegen die Nichtentscheidung durch das OLG Celle vorgehen müssen.
Update (16.03.2013): Dr. Fleischer (Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf) äußet sich gerade auf dem Erbrechtstag in Berlin ablehnend zum Beschluss des OLG Celle. Er verweist hierzu unter anderem auf § 44 GKG .
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