Ein Terminsbericht zu einer Verhandlung am Landgericht Leipzig.
Ich war heute zu einer Verhandlung am Landgericht Leipzig. In der Sache ging es um die Frage, ob die Übertragung eines Hausgrundstücks vom Erblasser an einen Sohn vor mehr als zehn Jahren der Pflichtteilsergänzung unterliegt. Die Eltern hatten sich ein Wohnungsrecht vorbehalten. Der Sohn durfte das Grundstück nicht veräußern und ohne Zustimmung der Eltern nicht verändern. Der Sohn hatte bereits vorher mit im Haus gewohnt. Die Nutzung änderte sich mit der Übergabe nicht. Aus meiner Sicht besteht in diesem Fall ein Pflichtteilsergänzungsanspruch. Aber um diese Frage geht es hier nicht. Die Verhandlung warf wieder einmal die Frage auf, ob das das Bild ist, das wir von unserer Justiz haben wollen.
Der Richter offenbarte sofort mit Beginn der Verhandlung Wissenslücken, wobei dieser Begriff hier möglicherweise nicht passt. Denn eine Lücke setzt voraus, dass es Zwischenräume gibt, die die Lücke abgrenzen. Der Richter hatte zunächst nach den Vorstellungen des Klägers zum Wert des Hausgrundstücks gefragt, um den Gegenstandswert zu bestimmen. Ich hakte sofort ein und führte dazu aus, dass es darauf ankommt, ob das Wohnungsrecht abzuziehen ist oder nicht. Ich verwies auf die Rechtsprechung des BGH. Der Richter kannte diese nicht. Um das Gesicht zu wahren, tat er nach weiteren Ausführungen von mir so, als ergebe sich das bereits aus dem Gesetz. Leider ist das bei dieser Frage nicht der Fall. Nun gut.
Der Richter versuchte sodann, die Parteien zu einem Vergleich zu überreden. Am Ende würde sonst das ganze Geld bei den Anwälten landen. Er hatte eine Menge von Allgemeinplätzen auf Lager. Konkrete Rechtsausführungen machte er nicht. Er sagte lediglich, dass er eine Meinung habe, aber die Endentscheidung liege eh bei der letzten Instanz. Jaja, so kann man sich aus der Verantwortung stehlen.
Ich hatte in einem Schriftsatz rechtliche Ausführungen gemacht und mehrere Entscheidungen zitiert, die meine Rechtsauffassung stützten. Ich sprach den Richter darauf an und verwies darauf. Der Richter hatte die Entscheidungen nicht gelesen. Er sagte abwertend, Anwälte würden immer Entscheidungen zitieren. Er habe meine Argumentation zum ersten Mal gehört. Sie sei mutig und falsch. Er habe bei Google ein Urteil des OLG Bamberg gefunden, das meine Argumentation widerlege. Es habe sich gleich um den ersten Treffer gehandelt. Ich forderte den Richter auf, mir das Datum oder das Aktenzeichen zu nennen. Er setzte an, konnte es dann aber nicht und verwies mich darauf, ich solle es selbst googlen. Ich meine, dass ich die Entscheidung gefunden habe. Sie ist - soweit ich das sehen konnte - nicht veröffentlicht. Sie wurde von Kollegen erstritten, die ich über die Anwaltsmailingliste kenne. Sie betraf aber auch einen ganz anderen Sachverhalt.
Übrigens: Ernstzunehmende Juristen suchen nicht bei Google nach Entscheidungen, sondern bei Juris oder Beck-online.
Der Richter verlor sich dann immer mehr in Allgemeinplätzen. Der BGH müsse sich nicht ans Gesetz halten. Er könne entscheiden wie er wolle. Der Richter verlor sich in anderen Fällen aus dem Versicherungsrecht, bei dem ihm die Entscheidungen des BGH nicht gefallen haben. Er schimpfte darüber herum. Das alles hatte keinen Bezug mehr zu meinem Fall, ja nicht einmal mehr zum Erbrecht. Waren wir hier tatsächlich vor dem Zivilgericht? Meine Gedanken machten einen kurzen Ausflug ins Betreuungsrecht. Aber nein! Gegen solche Richter gibt es leider keine Handhabe. Glücklicherweise kannte ich den Richter aus einem früheren Fall und hatte meinen Mandanten darauf vorbereitet.
Was ist das Fazit? Der Richter hat den Parteien eine Instanz geraubt. Er hat die rechtlichen Erwägungen nicht geprüft. Er hat seine Verantwortung nicht wahrgenommen und sich darauf zurückgezogen, dass die Berufungsinstanz das richten muss.
Ich möchte betonen, dass das eine absolute Ausnahme ist. Viele Richter befassen sich ernsthaft mit den vorgebrachten Argumenten, lesen die Schriftsätze und zitierten Entscheidungen.
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