Donnerstag, 7. Juli 2016

Grundrechte gelten nicht für jeden

Es gibt im Grundgesetz Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte, die im Erbrecht eine große Rolle spielen. Leider kann das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Vorschrift im Verfahrensrecht einen Nichtannahmebeschluss erlassen, so dass die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte leer laufen.

Um welche Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte geht es?

Es geht zum einen um die Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG.
Art 14 GG
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden
durch die Gesetze bestimmt.
Die Erbrechtsgarantie schützt insbesondere auch das Pflichtteilsrecht (BVerfG, Beschluss vom 19.04.2005 - 1 BvR 1644/00, 1 BvR 188/03). Das umfasst auch den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Vorlage eines ordnungsgemäßen notariellen Nachlassverzeichnisses (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25.04.2016 - 1 BvR 2423/14).

Weiterhin geht es um den Schutz der Familie in Art. 6 GG.
Art 6 GG
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
...
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für
ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Und dann gibt es noch wichtige Rechte, die das Verfahren vor Gericht betreffen. Das ist vor allem das Willkürverbot, das aus dem Gleichheitssatz hergeleitet wird.
Art 3 GG
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Weiterhin ist das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter wichtig. Dieses ist insbesondere verletzt, wenn ein Befangenheitsantrag zu unrecht abgelehnt wird.
Art 101 GG
(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
...
Besonders wichtig ist auch das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör. Dieses kann in vielfältiger Weise verletzt werden und das passiert regelmäßig.
Art 103 GG
(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.
 ...
Wenn ein Gericht diese Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte verletzt, kann man dagegen eine Verfassungsbeschwerde erheben.
Art 93 GG
(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:
...
4a. über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem
seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt
zu sein;
...

Warum die Grundrechte nicht für jeden gelten

Soweit hört sich das alles gut an. Leider sieht die Praxis ganz anders aus. Und das liegt an den folgenden Vorschriften:
Art 94 GG
(1) Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern.
Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage
und vom Bundesrate gewählt. Sie dürfen weder dem Bundestage, dem Bundesrate, der
Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.
(2) Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben. Es kann für Verfassungsbeschwerden die vorherige Erschöpfung des Rechtsweges zur Voraussetzung machen und ein besonderes Annahmeverfahren vorsehen.
 Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz steht dazu:
§ 93a BVerfGG
(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.
(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
a)   soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,
b)   wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.
Und in der Praxis bekommt man dann einen Beschluss, der wie folgt aussieht:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
-1 BvR .../16-

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

der Frau ..., [Anschrift] - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Thomas Papenmeier, Altchemnitzer Straße 16, 09120 Chemnitz gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts ... vom ...  - [Az] -,
b) den Beschluss des Oberlandesgerichts ... vom ... - [Az] -

hat die ... . Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter ...
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 21. Juni 2016 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

[Unterschriften der Richter]
Begründungen gibt es fast nie. Manchmal kommen solche Beschlüsse nach einem Dreivierteljahr, manchmal schon nach einem Monat. Der Grundrechtsverstoß hat Bestand. Das Verfahrensrecht führt dazu, dass die allgemeine Geltung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte eingeschränkt wird. Ob die Verfassungsrichter die seitenlange Verfassungsbeschwerde überhaupt gelesen haben, lässt sich nicht erkennen. Ein trauriger Zustand, aber Realität in unserem Land!

Ergänzung (11.07.2016): Dazu schreibt Kleine-Cosack in seinem Buch Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, 3. Auflage 2013, Kapitel 5, Rn. 194:
 "Entscheidend sind erfahrungsgemäß auch vor allem das Interesse, die Weitsicht, Kompetenz und Entscheidungsfreudigkeit sowie die Courage des zuständigen Richters, seines 'Umfelds' - wie seiner Mitarbeiter - und die Zusammensetzung der zuständigen Kammer oder gar des Senats. Es ist ein offenes Geheimnis, dass eine fragwürdige Besetzungspolitik gelegentlich zu schlichten Fehlbesetzungen führt."
Ergänzung (03.08.2016): Ein gutes Beispiel für das hier beschriebene Problem liefert die zweite Kammer des ersten Senats mit dem Nichtannahmebeschluss vom 25.04.2016 (1 BvR 2423/14): "Die angegriffenen Entscheidungen verkürzen zwar im Fall des Beschwerdeführers den Gehalt der Erbrechtsgarantie, weil es ihm als Pflichtteilsberechtigten anhand des erteilten Verzeichnisses nicht möglich ist, etwaige weitere ausgleichspflichtige Ansprüche zu erkennen. Der Rechtsfehler lässt jedoch nicht auf eine generelle Vernachlässigung oder grobe Verkennung des Grundrechts schließen. Auch eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich" Pech gehabt! Grundrecht gelten eben nicht für jeden.

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